Über das Lachen in einer dunklen Zeit

llustration: Ignasi Blanch

Inhaltsverzeichnis

„Mir ist das Lachen vergangen“, sagte ein Patient mit bitterer Miene. Seine Mundwinkel waren drastisch nach unten gezogen. Ich dachte: Das kann ich verstehen. Unsere Welt ist dunkler geworden und viele Menschen haben das Lachen verlernt. Gesagt habe ich: „Denken Sie, man braucht einen Grund, um zu lachen? Oder geht das auch einfach so?“ Dabei grinste ich ihn aufmunternd an. Er zuckte mit den Schultern, und fast widerwillig erwiderte er mein Lächeln. Wie einfach das geht, wenn die Abstandsregel greift und wir uns sehen können.

Hinter einer Maske sieht man das Lächeln ohnehin nicht. Wozu also eines aufsetzen? Neulich habe ich einen kleinen Jungen beobachtet, der eine Frau genau musterte, mit der seine Mutter gerade sprach. Dann stellte er sich gerade vor sie hin, und mit einem Blick von unten nach oben stellte er die Frage: „Wie siehst du ganz aus?“ Die Frau antwortete: „Du siehst mich doch ganz – vom Kopf bis zu den Füßen.“ Energisch schüttelte der Junge den Kopf: „Nein, du bist neu. Wir haben uns noch nie gesehen. Ich weiß nicht, wie du ganz aussiehst.“ Und dann tat die Frau etwas besonders Schönes. Sie lüftete kurz ihre Maske, setzte sie wieder auf und fragte: „Besser?“
– „Ja“, lächelte der Junge zurück.

An ihren Augen konnte ich sehen, dass auch sie lächelte. Ob dem Jungen das klar war? Mir schoss durch den Kopf, wie sehr wir für unsere Interpretation unserer Gegenüber auf das ganze Gesicht angewiesen sind.

Lächeln ist ein Signal für „keine Gefahr“ – was passiert also, wenn dieses Signal ausbleibt? Wir sind es gewohnt, die Absicht unseres Gegenübers zu erfassen, indem wir das ganze Gesicht sehen. Werden wir lernen, mit den Augen zu lächeln und den Ausdruck sicher zu lesen? Oder werden wir trostlos-leere Blicke oberhalb der Masken zeigen, mit Augen wie blindgewordene Fenster, mit einem verschleierten Blick auf die Welt?

Meine Antwort: Keine Ahnung. Aber ich habe die Hoffnung, dass wir das hinkriegen.

Wie ich darauf komme? Wenn ich mit meinen Augen spreche, bekomme ich viele überraschte Antworten wie spontanes, lautes Lachen, zwinkernde Augenbrauen, beredte Schultern und Hände. Körpersprache wird wichtiger werden, und die geht schwer mit Emojis. Vielleicht lernen wir durch die Masken, uns wieder über unsere Gefühle auszutauschen, mit Worten oder gar ganzen Sätzen. Mag die Zeit gerade ziemlich dunkel sein, ich denke, wir haben es in der Hand, wie hell sie werden kann.


Zum Thema was gute Begleitung (in der Therapie) für mich bedeutet, findest du hier mehr: Gute Begleitung ist...

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