Manchmal habe ich den Eindruck, älter werden besteht aus Sehhilfen, Hörgeräten, Farben zur Abdeckung grauer Haare, Inkontinenzbinden, Doppelherz und Kukident.
Jeder Mensch hat vermutlich eine andere Vorstellung von gutem Altern. Der eine orientiert sich daran, den Körper und das Gesicht jung erscheinen zu lassen. Grundsätzlich ein guter Plan, weil er messbar ist, und Messbarkeit schafft Sicherheit. Der andere will keine Verantwortung mehr tragen und entspannen. Wieder ein anderer versucht alles, um sich insgesamt zu verbessern.
Altern hat viel mit physischer Veränderung zu tun, und diese wird generell eher defizitär beschrieben. Alles wird weniger. Manchmal habe ich den Eindruck, älter werden besteht aus Sehhilfen, Hörgeräten, Farben zur Abdeckung grauer Haare, Inkontinenzbinden, Doppelherz und Kukident.
Was würde passieren, wenn uns diese Informationen nicht zur Verfügung stünden und wir ins Altern hineinwachsen würden, einfach, weil wir es vorgelebt bekämen von den Älteren? Und könnte daraus ein einfacher Auftrag für jeden von uns entstehen? Etwas anderes, besseres vorzuleben und so die Gesellschaft zu beeinflussen? Der Endokrinologe Deepak Chopra sagte einmal in einem seiner Vorträge: „Du alterst so, weil du siehst, wie andere es tun.“ Eine provokante Aussage. Eine, die sich zu untersuchen lohnt...
Still sparkling – nicht nur dank Kukident ;-). Bildnachweis: Unsplash/Cristian Escobar
Schon als junge Therapeutin durfte ich sehr alte Menschen therapeutisch begleiten. Mit über 80 Jahren sprühten sie vor Leben und suchten Unterstützung, um besser für sich sorgen zu können. Sie inspirierten mich zu dem Gedanken, Alter könnte großartig sein. Doch was musste ich dafür tun?
Mehrere Jahrzehnte später kann ich es formulieren: Es braucht Präsenz, Gegenwart, Ziele, Sehnsucht, das Gefühl, wichtig zu sein und noch zum gesellschaftlichen Leben beizutragen. Hier aber drängt sich das Defizitäre der Lebenskonzepte, wie sie uns heute begegnen, erneut überdimensional in den Vordergrund. Und es blockiert die Sicht. Denn was kann ich denn beitragen? Und ist mein Einfluss überhaupt erwünscht?
Meine Antwort: Das sollte er sein, unbedingt. Jeder Mensch hat im Laufe seines Lebens Erfahrungen gemacht und Fähigkeiten entwickelt. Und sie sind es, die genau durch diese Lebensphase im Alter tragen können. Alt werden ist zwar kein Verdienst, aber man kann einen daraus machen. Indem man lernt und diese Erkenntnisse zur Verfügung stellt. Das sollte Anerkennung verdienen oder Respekt.
In der Natur kann man sehen, welche Folgen es hat, wenn die Alten ausgegrenzt werden. Es gab eine Zeit, da hat der Mensch in seiner Gier nach Elfenbein so viele Elefanten getötet, dass diese geschützt werden mussten. In der Folge wurden es dann in einigen Gebieten zu viele. Also mussten sie wieder dezimiert werden. Menschen entschieden, dass sie die alten Elefanten töten würden, weil sie nutzlos seien für die Herde. Oder zumindest entbehrlicher als die jungen. Das Ergebnis: Die jungen flippten aus. Niemand war da, um sie in Schach zu halten, niemand diente ihnen mehr als Vorbild. Denn genau das war die Aufgabe der alten Elefanten in der Herde gewesen.
Wie wäre es, wenn die menschlichen Alten auch diese Funktion hätten? Könnte ein Teil der gesellschaftlichen Eskalationen auch das Ergebnis unseres Umgangs mit Alten sein? Ich finde den Gedanken interessant genug, um ihn zur Verfügung zu stellen. Unsere seltsame Altersfeindlichkeit, die so selbstverständlich ist, dass sie fast unbemerkt bleibt, verändert das Leben der Jungen. Aber macht es ihr Leben wirklich besser? Was ist mit gelebten Alternativen generationenübergreifender Lebensweisen? Projekten zwischen Alt und Jung? Sollte das nicht selbstverständlich werden können? Und was können wir Alten dazu beitragen?
Öfter mal was Neues: So kann gutes Altern individuell gelingen. Bildnachweis: Stocksy/Rob and Julia Campbell
Was uns in keinem Fall fehlt, ist die biologische Ausstattung, um mit dem Leben zurechtkommen zu können. Nein, wir haben sie, und dazu gehört das Prinzip der Vielfalt. Je vielfältiger die Stimulation von außen, desto freier bewegt sich unser System. Übersetzt bedeutet es, Abwechslung ins Leben zu bringen, wenig Routinen zu verfolgen.
Nicht nur unser Gehirn ist auf Abwechslung ausgerichtet, ebenso unser Immunsystem und unser Stoffwechsel. Das hat ganz banale Konsequenzen. Machen Sie täglich irgendetwas anders als sonst. Variieren Sie Ihre Essensgewohnheiten. Sitzen Sie nicht immer an derselben Stelle. Erkunden Sie neue Wege. Je mehr Sie sich der Routine Ihrer Gewohnheiten hingeben, desto schlechter fühlt es sich an. Sie erstarren buchstäblich mit der Zeit, und das sowohl körperlich als auch in Ihrem Denkapparat.
Suchen Sie sich Herausforderungen, denen Sie sich täglich stellen. Versuchen Sie, einmal täglich am Rand Ihrer Komfortzone zu sein. Lesen Sie einen schweren Text, strengen Sie sich körperlich an und üben Sie sich im Alltagskontakt mit Fremden. Auch Berührung ist wichtig, die körperliche und die geistig-seelische. Es beginnt damit, es selbst zu tun, und setzt sich fort, es von anderen zu bekommen. So könnten wir den Jungen vormachen, wie gutes Altern geht, ohne die individuellen Voraussetzungen zu ignorieren.
Alter ist relativ. Für einen Menschen Mitte 20 ist ein Mensch Mitte 70 definitiv alt. Heute bin ich viel näher dran und empfinde es anders. Man ist nicht einfach alt, weil eine bestimmte Zahl auftaucht. Mit fallen achtjährige kleine Patienten ein, die Sätze formulieren wie: „Früher, als ich jung war, …“. Nun ja, mit acht Jahren sind nur vier Jahre früher schon die Hälfte des eigenen Lebens. Eine lange Zeit. Für mich hat Alter etwas mit Zeitempfinden zu tun. Wenn die zu erwartende Lebenszeit kürzer wird als die schon gelebte, dann erscheint mir das Gefühl von Alter angemessen.
Jeder sollte das von sich sagen können. Doch irgendwie scheint das nicht so recht klappen zu wollen. Als würden wir vom Alter überrascht werden. Nicht einmal die alljährliche Wiederkehr unseres Geburtstages erinnert daran, obwohl das eigentlich naheliegend wäre. Erinnern Sie sich, wie groß die Vorfreude auf diesen Tag als Kind war? Die Aufregung. Das Tage zählen. Die Geschenke.
Später kommen die Partys, die Reisen und Besuche Ihrer engen Freunde. Sie bekommen immer noch Geschenke und schenken sich selbst etwas. Irgendwann kommen Sie an dem Punkt an, wo Sie alles haben und die Menschen um Sie herum Ihnen schon alles geschenkt haben. Sie machen Vereinbarungen, sich nur noch zu treffen, um gemeinsame Zeit zu haben – ohne Geschenke, aber mit vielen guten Wünschen.
Es wird stiller, und dann werden Sie 50. Sind Jubilar(in). Werden geehrt. Sie sprechen von Ihrem Lebenswerk, drücken Ihren Dank an all diejenigen aus, die Ihnen treu geblieben sind. Vielleicht denken Sie auch an die, die nicht mehr da sind. Und spätestens jetzt beginnt die Phase, wo sich die meisten Menschen gegenseitig nur noch Gesundheit wünschen. Denn die Sache mit dem Altern hat unvermeidlich angefangen.
Den Herbst des Lebens bunter gestalten. Bildnachweis: Stocksy/Leslie Taylor
Ich habe Ihnen schon vieles von Ihren Genen erzählt und wie sie auf den Alterungsprozess wirken. Es gibt aber noch eine andere Struktur, die wirksam ist – die Epigenetik. Das sind die Schalter oberhalb der Gene, die entscheidend dafür sind, ob sich eine genetische Tür öffnet oder nicht.
Der Biologe Bruce Lipton hat dazu viel geforscht. Sein erstes Buch Intelligente Zellen hatte einen lebensverändernden Einfluss auf mich und mein Denken. Dabei postulierte er, dass nicht die Gene das Gehirn der Zelle sind, sondern die Zellmembran. Damit stieß er nicht nur eine wissenschaftliche Doktrin um, die genau das Gegenteil behauptete, sondern er konnte zusätzlich beweisen, dass man auf die Zellmembran Einfluss nehmen kann.
Neben Ernährung und Verhalten wirkt sich auch unser Denken nachhaltig auf diese Strukturen aus. Es hat also vieles mit dem zu tun, wie uns Dinge vorgemacht werden. Und es hat damit zu tun, wie wir uns bewerten oder wie andere es tun. Kurzum: Abwertung wirkt sich negativ auf den Alterungsprozess aus.
Das erinnert mich an eine 65-jährige Jubilarin, die von ihrer Tochter in der Geburtstagsrede gesagt bekam: „Du warst eine tolle Mutter. Du hast unglaublich viel gearbeitet. Das musst du jetzt nicht mehr. Jetzt sollst du dein Leben genießen und nichts mehr tun müssen.“ Von Satz zu Satz wurde das Leuchten in den Augen des Geburtstagskindes weniger. Als ich sie später darauf ansprach, antwortete sie: „Die Anerkennung war schön. Aber nun werde ich nicht mehr gebraucht und gehöre zum alten Eisen. Die Kinder meinen, ich solle reisen, aber ich will viel lieber hier sein und sie unterstützen. Zu irgendwas bin ich doch sicher noch gut.“
Alter wird oft unabsichtlich mit dem Begriff „Abstellgleis“ verbunden. Der erste Schritt ist, sich gegen diese Interpretation zu wehren, indem man sich den eigenen Wert bestätigt. Dann gilt es, einen Sinn zu finden, der damit verbunden sein muss, dass man so alt geworden ist. Anders formuliert: Einen Sinn zu finden, der das höhere Lebensalter erforderlich macht, um der Aufgabe gewachsen zu sein. Und das bedeutet letztlich, dass es gilt, eine neue Generation der Älteren zu erschaffen.
Da geht noch mehr: Ist auch bei Ihnen Veränderung angesagt? Bildnachweis: Unsplash/Aaron Burden
Früher waren die eigenen Kinder und die Enkelkinder die Ziele für das Alter. Dann folgte eine Generation, die sich auch mal etwas gönnen wollte. Reisen, Abenteuer erleben und das Leben genießen. Heute poppt noch eine andere Gruppe hoch: diejenigen, die, statt in Rente zu gehen, mit Mitte 60 eine Firma übernehmen oder sich einer ganz neuen Aufgabe stellen. Mit dieser herrlichen Ungeduld: Bitte bald, denn ich möchte das noch erleben können. Und dann gibt es die, die mit Ende 50 noch ein Start-up machen.
Keiner der beschriebenen Entwürfe ist besser als der andere. Keiner entspricht einem fertigen Konzept. Doch jeder muss vom Einzelnen genau definiert werden, um individuell tragfähig zu sein. Ich bin mir sicher: Da geht noch was! Bei allen Betrachtungen ist mir eines immer wieder bewusst: Es fehlt an Konzepten für den letzten Lebensabschnitt. Darüber berichte ich beim nächsten Mal.
Die folgenden Anregungen sollen Ihnen helfen, sich konstruktiv mit dem Alter auseinanderzusetzen, jenseits der rein physischen Aspekte. Menschen sind mehr als das. Identifizieren Sie Ihre Vorstellungen von Alter im Unterschied zu einer Ihnen gut erscheinenden Qualität des Alterns. Was trauen Sie sich nicht? Und zu welcher der oben beschriebenen Gruppen gehören Sie? Sind Sie zufrieden dabei? Dann müssen Sie nichts ändern. Wenn nicht, dann ist Veränderung angesagt. Eine, die Sie selbst erschaffen.
Welche negativen Gedanken halten Sie davon ab, sich im Alter neu zu erfinden? Wie gehen Sie dabei mit Ihrer Eigenverantwortung um? Beginnen Sie, eine Liste zu führen, die festhält, wenn Sie etwas tun, wovon Sie wissen, dass es gut für Sie ist. Jedes Mal zählt. Und dann erweitern Sie die Liste mit Ideen, die Sie inspirieren, und Dingen, die Sie gerne tun würden. Vor allem: Lassen Sie sich nicht abhalten, es aufzuschreiben, und lassen Sie die Negativbewertung weg. Das könnte zu einem neuen Konzept für Sie werden.