Meine Auseinandersetzung mit dem Thema Schmerz dauert schon so lange wie ich bewusst denken kann. Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass alles in der Natur einen Sinn ergibt und keine Sache ohne Grund vorhanden ist. Kann Schmerz von der Natur gewollt sein? Eine seltsame Vorstellung. Aber wenn ich genauer hinschaue, steht am Anfang unseres Lebens eine Schmerzerfahrung. Die Geburt. Wir beginnen unser physisches Leben mit einer unangenehmen Erfahrung. Soll das zufällig so sein oder hat es einen tieferen Sinn? Für die meisten Menschen spielt das keine oder nur eine kleine Rolle, weil man daran schlussendlich auch wenig machen kann. Und damit komme ich zu einem wichtigen Punkt: Schmerz gehört zum Leben dazu und das müssen wir akzeptieren.
Wenn ich diesen Satz lese, kommt er mir merkwürdig vor. Ich spüre meinen eigenen Widerstand gegen diese Sichtweise. Und doch komme ich nicht umhin einzuräumen, wie viel Wahrheit darin steckt. Es beginnt mit dem Bauchschmerz als Baby, wenn wir Verdauung lernen; geht weiter mit dem Schmerz, wenn wir Zähne bekommen, beim Laufen üben hinfallen, und auch später ist wildes Spielen schnell mit Schmerz verbunden. In diesen Zusammenhängen stimmt mein Satz in jedem Fall und erstaunlicherweise nehmen wir dann Schmerzen selbstverständlich hin.
Wir fallen von der Schaukel, vom Fahrrad, vom Pferd, vom Stuhl, aus dem Bett – und erstaunlich oft tun wir uns nur weh, ohne uns ernsthaft zu verletzen. Wir wissen, der Schmerz geht vorbei. Spätestens wenn die blauen Flecken verblassen, vergessen wir wie schlimm es gewesen ist. Die Tatsache, dass es heilt, rückt in den Vordergrund und löst den Schmerz ganz selbstverständlich ab. Einfach so. Und sollte es mal nicht so einfach sein, gibt es in der Regel einen Menschen, der uns tröstet und verspricht, dass es besser werden wird. So gesehen ist Schmerz ein normaler, vorübergehender Zustand. Und wenn er bleibend wird?
Schmerz ist ein Warnsignal. Etwas stimmt nicht. Wäre es dann nicht auch zulässig, Schmerz als Schutzsignal zu werten? Ganz klar ja. Aus Schmerz kann eine schnelle Rückzugsreaktion entstehen oder der Befehl zum Stillhalten. Das ist davon abhängig, was den Schmerz verursacht. Und er wird schlimmer, wenn er vom Betroffenen nicht verstanden wird. Noch schlimmer, wenn der Schmerz zunimmt und man hilflos miterlebt, wie es immer unerträglicher wird. Ist Schmerz dann immer noch sinnvoll? Natürlich, denn die Ursache für den Schmerz ist nicht beseitigt. Denn der Körper gibt ununterbrochen Hinweise darauf, dass etwas nicht stimmt. Sinnvoll ist keinesfalls immer mit angenehm gleichzusetzen. Eine chinesische Weisheit besagt: Beseitige einen Schmerz erst, wenn du seine Ursache kennst. Und wenn die Ursache nicht abstellbar ist?
Kann man sich an Schmerz gewöhnen? Eigentlich nicht. Er bleibt unangenehm. Die meisten kennen die Filme, in denen Helden sich abhärten und auf Schmerz vorbereiten. Das funktioniert, aber vor allem deswegen, weil dann der Schmerz keine Gefahr darstellt, sondern einen Sinn ergibt. Oftmals geht bei den extremen Abhärtungsmethoden schlicht und einfach Nervenstruktur kaputt und dann wird der Schmerz nicht mehr weitergeleitet. Kann man denn wenigsten lernen mit Schmerz umzugehen?
Es gibt verschiedene Arten mit Schmerz umzugehen. Man kann gegen den Schmerz arbeiten oder sich ökonomisch mit ihm bewegen. Dazu braucht es viel Aufmerksamkeit und Körpergefühl. Beides kann man lernen und üben. Trotzdem sind wir derlei Schmerzen nicht hilflos ausgeliefert und können eine ganze Menge tun. Unsere Ernährung hat genauso Einfluss wie unser Bewegungsverhalten. Darüber gibt es viele Bücher, aber darum soll es in diesem Artikel nicht gehen. Ich untersuche lediglich, ob Schmerz ein gewollter, sinnvoller Zustand ist oder ob die Natur hier einen Fehler gemacht hat.
Dem Gehirn ist es egal, ob ein Schmerz körperlich oder seelisch ist. Die Schmerzzentren sind dieselben, ebenso die ausgeschütteten Botenstoffe und es wird in der Regel erst dann besser, wenn drei Dinge zutreffen. Erstens müssen wir den Schmerz und seine Ursache ernst nehmen, ohne ihn zu dramatisieren und zweitens müssen wir ihn vor allem verstehen. Drittens ist es wichtig eine Aussicht auf Besserung zu haben oder sie zu entwerfen, also nicht so wehrlos zu sein. Diese Erkenntnis verdanken wir den Medizinern David Butler und Lorimer Moseley, die bei ihrer Forschung zur Arthritis feststellten, dass die Schmerzempfindung drastisch zunahm, je weniger die Patienten verstanden, was da mit ihnen passierte. Umgekehrt nahmen die Schmerzen ab, sobald die Menschen ihren Schmerz verstanden. Das ist auch mit seelischen Schmerzen so. Sobald wir besser verstehen, was passiert, können wir Lösungsstrategien entwickeln.
Insgesamt ist Schmerz kein Fehler, sondern eine Ausstattung, mit der wir umgehen lernen müssen. Vor allem sind es oftmals viele Kleinigkeiten, die in Summe eine Verbesserung ergeben. Dazu gehört die Geduld etwas zu probieren und konsequente Veränderungen zu erlauben. Nicht alles auf einmal, sondern Schritt für Schritt ausprobieren, wie sich die Veränderung auswirkt. Beharrlich und geduldig. Immer in der Gewissheit, dass die Natur grundsätzlich ein Danach vorsieht. Und jede Veränderung beginnt damit, den gegenwärtigen Zustand anzunehmen. Das ist der Startpunkt in Richtung Veränderung.