Kinderweisheit für eine Zukunft mit Gefühl

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Inhaltsverzeichnis

Je länger ich mich mit dem Thema Zukunft auseinandersetze, desto mehr stelle ich fest, wie gut Kinder das Leben bewältigen, wenn sie sich auf ihre Erfahrungen besinnen. Deswegen glaube ich, dass wir etwas von ihnen lernen können und sollten. Am besten gefällt mir, wenn sie einen Satz mit den Worten beginnen: "Früher, als ich noch klein war …" Dann wird mir immer bewusst, wie relativ Zeit wahrgenommen wird.

Helfen, weil man es kann

Aber sie haben noch andere faszinierende Startpunkte als die Zeit. Einer meiner kleinen Patienten, A., hat mich dabei besonders beeindruckt. Zugegeben, er ist ein besonderes Kind, aber niemand hat gesagt, es sei verboten, von besonderen Menschen zu lernen. Auf meine Frage, warum er seinen Klassenkameraden so gerne hilft, antwortete er: Es könnte sein, dass ich auch mal Hilfe brauche, deswegen helfe ich meinen Schulkameraden jetzt, weil ich es kann. A. bezog sich auf seine eigene Lebenserfahrung, denn er war als Kind ausländischer Eltern in Deutschland groß geworden. Er kannte das Gefühl, Hilfe zu brauchen, und er verband damit die Hoffnung auf seine Zukunft in der Schule.

A. ist 6 Jahre alt und kommt wegen Bauchschmerzen zu mir. Diese hat er immer dann, wenn es ungerecht wird. Auf meine Frage, wie oft es denn weh tut, antwortete er mit einem schelmischen Grinsen: Zu oft. Wieder etwas, was mir sehr vertraut ist: Ungerechtigkeit, die einfach stattfindet. Jeden Tag. Die meisten Menschen haben sich damit arrangiert. Nicht so mein kleiner Patient.

Gefühlskarussell

Ganz offensichtlich hat er viele Gefühle, die er nicht mit Worten ausdrücken kann, aber er spürt sie – körperlich. Manchmal frage ich mich, ob es im Leben nicht nur um Gefühle geht. Um die unangenehmen wie die angenehmen. Und um die innere Bereitschaft, Glück zu erzeugen. Dann würden sich Gefühle in permanenter Bewegung befinden. Wir hätten einen sicheren Platz und die Gefühle würden an uns vorbeiziehen, als wären sie auf einem Karussell. Und als zusätzliches Bonbon wäre dieses Glück, das wir dabei erschaffen, auch noch ein vollkommen konsumfreies Glück, eines, das wir buchstäblich immer haben könnten.

Mein kleiner Patient geht noch weiter. Er malt sich die Dinge, die er noch nie gesehen hat, einfach auf. Damit er sie hat – und das macht ihn glücklich. Beispielsweise ein Nilpferd, das mit der Gabel Müsli isst, oder einen Elefanten mit Ohren so klein wie bei Menschen. So lotet A. seine Welt aus. Er stellt sie sich vor und er fühlt, was es bedeutet, wenn sie wirklich so wäre. Das bereichert und erfüllt ihn. Wenn er seine Bilder mitbringt und mir schenkt, bin ich immer wieder beeindruckt, wie selbstverständlich er sie mir gibt. Sein selbstverständliches Für dich, wenn er mir seine Werke überlässt, berührt mich. Es erinnert mich an ein Buch von Janosch, aus dem ich frei zitiere:

Ein Geschenk, damit du dich freust, denn Freude ist für jeden gut.

Kinderbücher und Lebensweisheiten

Der Satz trägt viel Weisheit in sich. Überhaupt bringen Kinderbücher es oft auf den Punkt. Ich erinnere mich an eine Lesung mit Michael Ende, der dort auf die Frage, ob er sein Genre wechseln würde, weil sein damals neuestes Buch „Der Spiegel im Spiegel“ so anders sei als seine anderen Bücher, folgenden Satz sagte:

"Wenn ein Maler eine Ziege auf das Dach eines Hauses malt, dann weiß jeder normal gebildete Mitteleuropäer, dass das Kunst ist. Wenn ein Schriftsteller dasselbe tut, nennt man ihn Kinderbuchautor."

Seitdem trage ich diesen Satz in meinem Herzen. Michael Ende hat immer davon geträumt, für alle zu schreiben. Das verstehe ich sehr gut. Auch mich quält die Zuordnung meiner Werke nach Kategorien, egal, ob ich einen Blog, ein Fachbuch, einen Roman oder Kurzgeschichten schreibe. Alles soll eingeordnet sein, damit es die Menschen leichter finden können. Eine seltsame Form der Manipulation, eine weitere, der wir allgemein willig folgen. Darüber habe ich in meinem letzten Blog geschrieben. Aber heute geht es um die kindliche Weisheit. Viele Menschen belächeln Kinderbücher, dabei kann man in ihnen so viel für das Leben lernen. Auch, weil sie sich auf eine so grundnatürliche Art mit Gefühlen auseinandersetzen, denn Gefühle können sich schnell ändern, wenn wir nur auf die richtigen Dinge schauen. Ein wunderschönes Bilderbuch bekam ich von meiner Freundin im letzten Jahr geschenkt: „Lächeln gefunden“ von Sophie Schönwald. Es handelt von einem Bären, der nach seinem Winterschlaf ein Lächeln in seinem Spiegelbild entdeckt und sich sicher ist, dass es ihm nicht gehört. Also sucht er nach dem Besitzer oder der Besitzerin. Viele Tiere kommen vorbei, und alle sagen: „Nicht meins!“ Aber am Ende setzt sich das Lächeln bei ihnen allen durch – und nicht nur das, denn durch das Lächeln wird auch ihre Welt besser: Wo ein Lächeln ist, finden sich plötzlich ganz viele. (Und außerdem bekommt der Bär auch noch eine Belohnung.)

Mit Lächeln die Welt verändern

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Könnte man daraus etwas ableiten? Dessen bin ich mir sicher. Also frage ich: Was lässt dich lächeln? Und wie kann ein Lächeln eine bessere Welt erschaffen? Ich gehe noch einen Schritt weiter: Meiner Erfahrung nach hat mich in besonders schlimmen Situationen oftmals nicht mehr als ein Lächeln getragen. Das von anderen Menschen oder auch mein eigenes. Oft konnte ich gar nichts anderes tun, und es war genug, um den Prozess bis zum Ende durchzustehen. Wenn ich mir also vorstelle, wie ich das Leben anlächle, eine ungewisse Zukunft mit all ihren Schrecken, dann wachsen zwei Gefühle in mir: Hoffnung und Mut.

Hoffnung und Mut

Ich spreche hier nicht von der Hoffnung auf eine irgendwie geartete Besserung. Sondern von der unbestimmten Hoffnung darauf, dass am Ende alles seinen Sinn ergeben wird. Diese Art Hoffnung hat schon immer zu Entwicklung, Bewusstseinsevolution, beigetragen. Und genau mit dieser müssen wir uns verbinden, um jene Lösungen zu finden, die sich auf unserem Weg anbieten. Lösungen, die jetzt noch nicht sichtbar sind, weil wir mit unserem Lösungsdenken immer noch zu sehr auf die Vergangenheit bezogen sind. Ich bin sicher, es wird nur Lösungen geben, die aus Verbindungen zwischen Menschen entstehen. Und noch einmal zitiere ich Janosch mit dem Satz aus einem „Kinderbuch“:

„Wie gut“, sagte der kleine Tiger, „wenn man einen Freund hat, der ein Floß bauen kann. Dann braucht man sich vor nichts zu fürchten.“

Das erzeugt in mir die Vorstellung von Mut durch den Trost, nicht allein zu sein. Der Mut der Vielen ist immer größer als der des Einzelnen. Davon bietet unsere Geschichte etliche Beispiele – wie auch für eine gewichtige weitere Wahrheit: Die meisten wahrhaft großen Taten basieren auf Mitgefühl.

Mitgefühl

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Wieder zitiere ich A., dessen kleiner Bruder während der Pandemie geboren ist. Also hat er die ersten Jahre nicht einfach rausgehen und spielen können, sondern war in der Wohnung eingesperrt. Darüber weinte er viel, obwohl er mit A. in einem Zimmer schlief. Die Eltern boten A. an, er könne mit einem von ihnen das Zimmer tauschen. Das war seine Antwort: Nein, sein Weinen stört mich nicht. Ich war ja auch mal klein.

Eine erstaunlichere Antwort hätte ich mir nicht vorstellen können. Sie ist Ausdruck von selbstverständlich gelebtem Mitgefühl. A. ist 6 Jahre alt, und seine Worte berühren mein Herz und meinen Verstand noch mehr als all die großen Zitate berühmter Menschen. Auch, weil ich ihn kenne. Genauso ist es mit dem Mitgefühl: Es mit jemandem zu haben, den man kennt, ist leichter als mit jemandem, den man nicht kennt. Mein Blick geht in die Zukunft, die uns heute schon fordert. Wie schwierig ist Mitgefühl dann erst, wenn die Menschen, um die es geht, noch gar nicht geboren sind? Wie könnten wir eine Beziehung zu jemand Fiktivem aufbauen, der irgendwann einmal da sein wird? Was würdest du, was würde ich dazu brauchen? Meine Antwort: In jedem Fall inneren Frieden mit mir.

Innerer Frieden ist Teil der Lösung

Mein kleiner Patient wirkt innerlich friedlich, und das strahlt er aus. Seine Eltern auch, obwohl sie es nicht immer leicht hatten – oder vielleicht gerade deswegen. Damit kann man gut in die Zukunft gehen. Das Großartige ist, Frieden kommt immer von innen. Solange wir die Schuld für unser Leben im Außen suchen, ist innerer Frieden nicht so leicht zu erreichen. Im Gegenteil, die Gefühle von Wut, Bitterkeit und Enttäuschung dominieren dann schnell, weil wir keinen Einfluss auf die anderen haben. Und: Je mehr Schuld wir anderen geben, desto mehr Einfluss haben sie auf unser Leben. Wollen wir das wirklich? Denn dann sind fast überall nur noch Konflikte oder Katastrophen zu sehen. Die Wahrheit ist: Jeder Friede, der irgendwo auf der Welt geschlossen wurde, hatte seinen Anfang im Inneren eines Menschen. Denn dort, nur dort, haben wir Einfluss: auf uns selbst.

Vielleicht liegt der Anfang der Lösung erneut in der kindlichen Weisheit. Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an meinem kleinen Patienten nehmen und in uns Bilder von Dingen entstehen lassen, die wir noch nie gesehen haben – und sie so einfach erschaffen. Darum stelle ich dir zum Schluss einige wichtige Fragen: Was ist es, was du sehen, was du haben möchtest? Welche Zukunft malst du dir aus – für dich und deine Kinder? Kannst du dir vorstellen, dass es eine konstruktive Lösung gibt, so ganz grundsätzlich? Was ist es, was dein Leben mit Inhalt erfüllt? Worum geht es dir? Um Liebe, Erfolg, deine Rechte, die der anderen? Kann die Vorstellung, an der Erschaffung einer guten Zukunft beteiligt zu sein, einen Teil dessen ausmachen, was dich erfüllt? Was müsstest du dafür tun?

Die Liste an Möglichkeiten ist lang – du musst nur einen Ort in dir finden, an dem nichts unmöglich ist.

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