Alter kann in verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Das kalendarische Alter ist von Ihrem Geburtsdatum abhängig. Es sagt wenig über Ihren Fitnesszustand oder den Zustand Ihrer Organe und Nerven aus. Anders das biologische Alter, das sich aus den genannten Kriterien ermitteln lässt.
Elastizität im Alter verbinden die meisten Menschen mit der Beweglichkeit von Muskeln und Gelenken. Diese kann man üben. Wichtig ist, dass Sie angemessen üben und am besten schon früh damit beginnen. Doch was hilft unseren Gefäßen? Essen Sie mehr Gemüse, vermeiden Sie Zucker, lassen Sie untersuchen, welchem Ernährungstyp Sie angehören. Dazu gibt es tatsächlich genetische Tests, anhand derer die Mischungsverhältnisse von Kohlenhydraten, Eiweiß und Fett festgelegt werden können. Doch auch, wenn Sie alles richtig machen, werden Sie nicht ewig leben. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auch im Alter gut leben, ist allerdings groß.
Das biologische Alter verändern: Patentrezepte gibt es nicht. Bildnachweis: AdobeSTock/Chinnapong
Patentrezepte gibt es nicht, aber sie können eine Richtung geben. Denn was für den Einen gut ist, muss es nicht für den Anderen sein. Dieses Prinzip nennt man Gießkannenprinzip. Wenn Sie auf Ihrer Fensterbank verschiedene Pflanzen stehen haben und diese mit der gleichen Menge Wasser gießen, wäre es nicht zwingend so, dass jede Pflanze gut versorgt wäre. Wahrscheinlich wäre es, der einen zu viel, der anderen zu wenig gegeben zu haben, und der dritten wäre es gerade recht gewesen. Denn es kommt auf die jeweiligen Bedürfnisse an.
Wichtig ist: Norm- und Standardwerte können immer nur Anhaltspunkte sein. Natürlich kann man von etlichen Überschneidungen ausgehen, da die Zugehörigkeit zur Spezies Mensch das nahelegt. Aber es kann nicht darüber hinwegtäuschen, jedem Einzelnen auch eine individuellere Betrachtung zukommen zu lassen – und ihm die Verantwortung für sich und seinen Zustand zu übertragen.
Die Mischung aus fachlichem Rat und persönlichem Abgleich könnte zusätzliche Erfahrungswerte für alle bedeuten. Viele meiner Patienten und Patientinnen erzählen mir, wie wenig sie sich an die Vorschläge von Fachleuten halten und nicht darüber sprechen, obwohl ihre Eigenmächtigkeiten zu einer Verbesserung geführt haben. Sie teilen ihre Erfahrung nicht, weil sie glauben, niemand hätte daran Interesse. Solange wir also keinen Rahmen dafür erschaffen, kann Altern ein unangenehmer, unvermeidlicher Prozess sein. Intelligentes Altern verlangt von uns, unsere individuellen Erfordernisse zu erforschen, ihnen zu folgen und – darüber zu sprechen. Manches wissen Sie schon und anderes können Sie herausfinden. Das Großartige daran ist die Fähigkeit Ihres Gehirns zur Neuroplastizität, die ich bereits vorgestellt habe. Das Tolle: Ihr Gehirn passt sich nicht nur permanent an Ihre Erfahrung an, sondern auch an die anderer – wenn sie geteilt wird. Ein Grund mehr, miteinander zu reden.
Menschliches Networking für intelligentes Altern. Bildnachweis: AdobeStock/Song_about_summer
Das weiß tatsächlich jeder. Geht es dabei um Gymnastik, Trainingseinheiten oder Lauftraining? Wie viel muss man trainieren, um auch im Alter gut zu sein? Die schlichte Wahrheit dahinter ist: Training lohnt sich – unabhängig vom Alter. Im Alter jedoch ist Training unerlässlich. Vereinfacht dargestellt: Je älter man wird, desto weniger verzeiht der Köper, wenn wir ihn nicht fordern. Wenn wir von acht Stunden Schlaf pro Tag ausgehen, bleiben uns 16 Stunden für Aktivität und Regeneration. In die Phase der Aktivität gehört Ihre Arbeit und andere Alltagstätigkeiten. Regeneration ist nicht die Zeit auf dem Sofa, sondern sie beinhaltet moderates Training, Sozialleben, Kultur, Yoga, Meditation und all das, was Sie wieder auflädt und belebt.
Forscher des Karolinska-Universitätskrankenhauses Stockholm untersuchten freiwillige Teilnehmer und erfragten ihren Lebensstil, ihre Ernährung und die körperliche Aktivität. Alltagstätigkeiten wie Gartenarbeit, Einkaufen oder Reparaturen im Haushalt wurden als nicht-sportliche Tätigkeiten bezeichnet. Die besondere Erkenntnis dieser Untersuchung war, dass auch diese nicht-sportlichen Tätigkeiten sich außerordentlich positiv auswirkten. Die ansonsten unsportlichen Personen schnitten nicht nur gegenüber unbeweglich lebenden Personen besser ab, sondern auch gegenüber denjenigen, die sich im Alltag wenig bewegten und dafür einige Sporteinheiten pro Woche durchführten. Bemerkenswert, oder?
Auch andere Studien belegen diese Erkenntnisse. Tatsächlich ist es wichtig, viele kleine Bewegungsimpulse selbstverständlich in den Alltag einzubauen. Das führt zu besserem Wohlgefühl und mehr Kraft im Alltag. Wenn Sie versuchen, diese Erkenntnis im Alltag zu integrieren, und kontinuierlich dranbleiben, können Sie nicht verhindern, dass es Ihnen besser geht. Stehen Sie regelmäßig auf, wenn Sie einen sitzenden Beruf ausüben. Gehen Sie beim Telefonieren umher. Treffen Sie Freunde, um spazieren zu gehen.
Tatsächliches Alter nach Jahren ist nicht identisch mit dem biologischen Alter. Dieses zeigt sich flexibler, als man lange angenommen hat. Man kann also jünger sein, als das Geburtsdatum vermuten lässt, oder auch älter. Und das ist nicht davon abhängig, wie alt man sich fühlt. Um das zu vertiefen, komme ich nochmal auf die Telomere zurück. Zur Erinnerung: Telomere sind die Schutzkappen an den Chromosomen und schützen unser Erbgut. Einigen Studien zufolge verändern sich unsere Telomere schneller, als man bisher dachte. Schon nach einem Monat kann es zu Veränderungen kommen. Unklar ist lediglich, ob sich das messbar auf die Lebensdauer auswirkt.Die Neurowissenschaftlerin Lara Puhlmann forscht am Max-Planck-Institut und untersucht dabei die Länge der Telomere. Diese ist immer mit plastischen Veränderungen im Gehirn verbunden, also offensichtlich mit Erfahrung. Denn Telomere schützen auch das Gehirn. Je länger die Telomere, desto dicker die Großhirnrinde. Beide Merkmale gelten als Zeichen für biologische Jugend. Umgekehrt sorgen kürzere Telomere für eine dünnere Großhirnrinde. Das spricht für einen unmittelbaren Zusammenhang. In der Großhirnrinde liegt ein wichtiger Stoffwechsel- und Netzwerkknotenpunkt, der sogenannte Precuneus.
Optical Flow: Halten Sie Ihren Blick agil. Bildnachweis: AdobeStock/Herr Loeffler
Ihm wird eine wichtige Aufgabe zugeschrieben, was die Verbindung des Erkennens von etwas oder jemandem mit den Augen und der Gedächtnisleistung betrifft. Ist Ihr Precuneus fit, können Sie schnell erkennen, wer oder was da vor Ihnen steht, und schnell reagieren. Ist Ihr Precuneus weniger aktiv, finden Sie sich schlechter zurecht. Zusätzlich schaltet sich der Precuneus ein, wenn Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung gefragt sind. Beides brauchen Sie für die Einschätzung von Situationen. Doch jetzt kommt das Bonbon: Der Precuneus ist auch wichtig, wenn es um die Verarbeitung von dreidimensionalen Raumerfahrungen geht, denn er optimiert die Fähigkeit, Höhe und Entfernung abschätzen zu können.
Was hier so theoretisch klingt, hat praktische Konsequenzen für den Alltag. Knotenpunkte wie der Precuneus sorgen immer für Optimierung verschiedenster Abläufe. Stimulieren wir dieses Hirngebiet weniger, finden komplexe, selbstverständliche Abläufe nicht mehr oder nur mühsam statt.
Alles, was der Körper leisten kann, braucht Training. Wenn Sie sich also nicht mehr herausfordern, verlernen Sie buchstäblich, Ihre Fähigkeiten einzusetzen. Unzählige Studien belegen die Effektivität von Bewegung und Meditation. Beides wirkt positiv auf das Immunsystem, das Hormonsystem, das Gehirn, das Nervensystem, den Schlaf und die Stressverarbeitung. All das hilft auch dabei, Ihre Kontenpunkte im System zu unterstützen. Dabei kann schnell der Eindruck entstehen, man wäre nur noch mit Üben beschäftigt und das normale Leben käme zu kurz. Hier halte ich dagegen: Achtsamkeit ist etwas, was Sie immer praktizieren können, weile es eine Haltung ist, die Sie zelebrieren. Meditation ist zeitaufwändiger und wenn Sie in Ihren Alltag passt, eine großartige Möglichkeit. Wie wäre es, wenn Sie mit kleinen Dingen genauso effektiv sein könnten?
Auch hier hat die Wissenschaft eine wertvolle Erkenntnis zur Verfügung gestellt. Das Beobachten bewegter Ziele, der Optical Flow, wirkt sich auf das Gehirn genauso wertvoll aus wie 20 Minuten Meditation. Der Nebeneffekt des Trainings mit bewegten Zielen: Sie bewegen sich sicherer und stürzen seltener. Denn viele Gangunsicherheiten, die auf das Alter geschoben werden, sind das Ergebnis davon, wie wir unsere Augen einsetzen. Um Unsicherheit zu vermeiden, schaut man in der Regel auf den Boden. Dabei wird aber nicht geübt, wie dreidimensionale Raumerfahrung geht. Das übt man besser, indem man bewegten Objekten hinterherschaut. Also fliegenden Vögeln, Wolken, Autos, Zügen oder auch Enkelkindern.
Zur Erinnerung: Der Precuneus optimiert den Vorgang.
Tatsächlich spricht nichts dagegen, wenn Sie sich für eine Übungsform entscheiden. Und Sie können alles tun: Bewegen, Meditieren und Dinge beobachten, die sich bewegen. Wichtig ist nur, dass Sie dranbleiben, mit Freude, und zwar täglich.
Achtsamkeits- und Mitgefühlstraining führt zu besserer Lebensqualität – auch im Alter. Bildnachweis: AdobeStock/Antonioguillem
Was können wir für die biologische Jugendlichkeit tun? Die Gelehrten streiten sich, ob Achtsamkeit und Mitgefühl das Altern verzögern. In jedem Fall verhelfen Achtsamkeits- und Mitgefühlstraining zu besserer Lebensqualität – auch im Alter. Ernährung, Bewegung, Freunde und Veränderung – all das trägt zu gutem Altern bei. Körperliches Training und verbesserte Durchblutung verlängern die Telomere – das steht in jedem Fall fest. Wie wäre es, diese Kenntnisse dazu zu nutzen, das Leben schöner zu gestalten? So einfach und konsequent wie möglich. Und vergessen Sie nicht, es darf Ihnen Freude machen.
Finden Sie Bewegungen, die Sie immer machen können, im Sitzen, Stehen und Liegen. Schlängeln sie sich. Und denken Sie daran: Irgendetwas geht immer. Schlängeln, räkeln oder ein Positionswechsel alle 20 Minuten sind ein gutes und vor allem erreichbares Bewegungsziel. Und beobachten Sie bewusst, was sich bewegt – nutzen Sie den Optical-Flow-Effekt. Ob Vögel, Wolken oder Enkel – Sie werden immer einen Gewinn haben.