Eine Zukunft ohne Risiko – oder: Die eigene Haut riskieren

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Inhaltsverzeichnis

Die Sehnsucht nach Sicherheit

So sehr ich die Sehnsucht nach Sicherheit verstehen kann, so wenig erschließt sich mir die reale Möglichkeit dazu. Am Leben zu sein, stellt per se das höchste Risiko dar. Und wenn ich den Einsatz für ein risikoarmes Leben betrachte – schließlich könnte mich alles das Leben kosten –, welchen Wert hätten dann die Dinge und Handlungen in meinem Leben? Zugegeben, ein wirklich schräger Gedanke. Begebe ich mich noch ein wenig mehr auf diese schräge Ebene, dann ist alles, was ich im Gegenzug anzubieten habe, meine eigene Haut. Und weil das so ist, gehe ich in die Verantwortung; gehe ich ein Risiko ein, ganz einfach, weil ich am Leben bin. Schauen wir uns das einmal näher an.

Das Versicherungsprinzip

Wir leben in einer Gesellschaft, die ihrerseits von Versicherungen lebt. Versicherungen, die andere machen oder anbieten. Gerade fällt mir der Doppelsinn von etwas versichern auf, denn genauer betrachtet gibt es zwei mögliche Bedeutungen:


Möglichkeit 1:

Jemand bezeichnet etwas als die Wahrheit, als gewiss: „Ich versichere dir, dass ich meine Recherche sorgfältig durchgeführt habe.“
Die Sicherheit stammt in diesem Fall von meinem Gegenüber, dem ich vertrauen muss. Und auch wenn ich mir selbst etwas versichere, zum Beispiel, dass alles in Ordnung ist, beruht dieses Prinzip auf Vertrauen, im letzteren Fall auf mich.


Möglichkeit 2:

Jemand bietet mir eine Versicherung für meine Gesundheit, mein Auto, mein Leben, mein Handeln, … an, um Risiken abzudecken. Der Satz dahinter ist: „Mit dieser Versicherung hast du die beste Wahl getroffen. Du bist nun gut versichert.“
Auch in diesem Fall baue ich auf Vertrauen – nicht nur in diese Versicherung, sondern auch in das Wissen oder die Erfahrung anderer. Dabei versuche ich, mein Risiko klein zu halten, es abzuschätzen und mich entsprechend dagegen abzusichern. In jedem Fall bleiben zwei Dinge übrig: ein Restrisiko und meine eigene Verantwortung, und beides kann niemand anderer für mich übernehmen.

Sicherheit ist eine Illusion

Absolute Sicherheit gibt es nur für zwei Dinge im Leben: Ich werde geboren und ich werde sterben. Doch keine dieser zwei Sicherheiten hilft mir, die Risiken in meinem Leben einzuschätzen. Sie konfrontieren mich nur mit dem Wert des Lebens und damit, dass es schlussendlich immer um meine eigene Haut gehen wird. Wenn also alles in Bewegung ist und ich keine Sicherheit im Sinne einer Unveränderlichkeit herstellen kann, dann ist das einzig Verlässliche die Veränderung selbst. Frei nach dem Motto: Zwei Dinge stehen fest: 1. Das Leben existiert. 2. Die Pläne ändern sich.

Ich kann mich darauf einstellen, dass es immer Abweichungen von meinen Plänen geben wird. Diese Verlässlichkeit ist real und sehr beständig.

Irgendwann musst Du entscheiden

Also musst Du ab irgendeinem Zeitpunkt aus dem Bauch entscheiden, wie Du vorgehst und worauf Du Dich einlässt. Verlässt Du Dich auf eine Versicherung – von jemandem oder für etwas? Baust Du auf die Veränderlichkeit oder versuchst Du, die Kontrolle zu behalten und alles sicher zu gestalten? Und jetzt kommt meine unbequeme Frage: Fühlst Du Dich dann sicher oder nicht? Und was ist mit dem Restrisiko? Ist es noch da oder kannst Du es zum Verschwinden bringen?
Betrachten wir unsere immer noch pandemiegeprägte Wirklichkeit. Wir tun alles, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Die traurige Wahrheit ist, dass wir erst im nächsten Jahr wissen werden, ob unsere Annahmen gestimmt haben und unsere Anstrengungen erfolgreich waren. Jetzt kann es also keiner wissen – für Immunität müssen wir aus immunologischer Sicht sogar Ansteckung erlauben. Was ist denn nun wirklich sicher? Denn auch wenn man vermeintlich alles richtig macht, kann sich am Ende herausstellen, dass es falsch war.
Hier schließt sich der Kreis – erneut. Denn schlussendlich riskieren wir immer unsere eigene Haut … und genau das macht uns stark! Es lässt uns aus der Komfortzone heraustreten und sorgt dafür, dass wir das Leben besser tragen können, weil wir um unsere Verantwortung wissen und uns mit ihr auskennen.
Wird das jeden Schaden abwenden? Ganz sicher nicht. Aber es wird dazu beitragen, dass wir besser überleben.

Der Blick in die Zukunft

Jedes Versprechen basierend auf Annahmen, auf Überlegungen oder Zukunftsvisionen birgt das Risiko, dass alles anders kommt. Immer muss ich die Möglichkeit einkalkulieren, dass zumindest einige meiner Annahmen falsch waren, ich mich geirrt habe. Und irren ist bekanntlich menschlich. Dann muss ich die Stärke haben, es vor mir selbst und anderen zuzugeben. Nicht mehr und nicht weniger.
Ist das schlimm? Nein! Ist es ungewohnt? In jedem Fall! Ist es angenehm? Eher nicht. Aber diese Erkenntnis erschafft Freiheit und den Gewinn, immer wahrzunehmen, was da ist.

In der Gegenwart zu sein – eine Fähigkeit oder Eigenschaft, die auch in der Zukunft wichtig sein wird. Da bin ich mir ziemlich sicher.

Fest steht: Je mehr ich buchstäblich zu verlieren habe, desto größer wird mein reales Risiko. Und umso größer wird die Verführung, der Illusion von Sicherheit zu folgen. Aber müssen wir letztendlich nicht alles jeden Tag neu erschaffen? Doch – und die Zauberwaffe, mit der wir alles schaffen können, heißt Aufmerksamkeit. Auch die brauchen wir für die Zukunft. Ganz sicher.

Leben erschafft Zukunft

Mir fällt ein Ausspruch des Fotografen Elliott Erwitt ein, den er über das Fotografieren sagte:

„Photography is really very simple. The only important thing is to keep shooting. Commercial or fine art, it doesn’t matter. Nothing happens when you sit at home.” (Provence, Frankreich, 1955)

Ich finde, das ist eine schöne Analogie zur Zukunft. Denn das Einzige, was Zukunft erschafft, ist, am Leben zu sein. Und das damit verbundene Risiko muss man einfach eingehen.

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