Training im Dezember 2018. Eine Frau verabschiedete sich mit dem Wunsch: „Komm gut über die Zeit zwischen den Jahren.“ Mein Trainer sah mich ratlos an. „Die Zeit zwischen den Jahren? Was ist das? Ich dachte, ein Jahr schließt sich an das andere an.“ Er schüttelt ratlos den Kopf. Dann fragt er: „Kennst du das?“ Ja, ich kenne das und mir ist es so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen. Interessant, wie unterschiedlich geläufig altes Brauchtum sein kann.
Es begann mit dem Unterschied zwischen der Jahreseinteilung nach Mond oder Sonne. Im Mondkalender fehlen 11 Tage und zwölf Nächte, um 365 Tage für einen Sonnenumlauf zu erreichen. Bereits in den alten Hochkulturen wurde mit dem Jahr geschachert. Auch das finde ich interessant, wie man früher mit den Göttern und Dämonen, dem Jahr und allem, was dazu gehörte, verhandelte.
Die Ägypter begrenzten ihr Jahr auf 360 Tage. Ganz einfach, weil sie dann 12 Monate mit je 30 Tagen hatten. Denn das ließ sich leichter rechnen. Und was machten sie mit den 5 Tagen, die übrig blieben? Die hängten sie einfach hinten dran. Sehr pragmatisch. Obwohl die Ägypter andere Monate für die Zeit zwischen den Jahren benannten, hatten sie bereits diese Vorstellung. Bei ihnen orientierte sich alles an der Nilschwemme. Dabei ging es um Fruchtbarkeit und Ernte. Nach ägyptischer Vorstellung gab es einen Jahresöffner und einen Jahresschließer. Also ein klarer Anfang und ein klares Ende. Eben ein Zyklus. In der damaligen Zeit waren die Menschen viel näher an diese zyklischen Schwankungen des Lebens angebunden. Sich an der Ernte zu orientierten, ist für mich nachvollziehbar. Damals genauso wie heute.
Selbst im alten Rom gab es die Zeit zwischen den Jahren. Irgendwie. Nach dem römischen Kalender begann das Jahr am 1. März. Als die römischen Konsuln den Beginn ihrer Amtszeit in den Januar verlegten, machten sie daraus gleich den neuen Jahresanfang. Auch wieder eine erstaunliche und selbstherrliche Entscheidung. Dann kam das Christentum und die Konflikte begannen.
Mit der Erklärung vom 25.12. als einem der wesentlichen Höhepunkte des Kirchenjahres wurde zwar der 1. Januar nicht als Jahresbeginn außer Kraft gesetzt, doch mit dem Feiertag der Erscheinung des Herrn am 6. Januar wurde der Bogen zu der Zeit zwischen den Jahren geschlagen. Ursprünglich wurde erst an diesem Tag Weihnachten gefeiert, so wie es in Katalanien bis heute ist. Diese eigenmächtige Entscheidung das Fest zu verschieben, konnte die Erinnerung an diesen ursprünglichen Tag nicht auslöschen und auch daraus entstand das Gefühl eines Lochs im Kalender. Es entwickelte sich eine Zeit außer der Zeit und sie wurde mit alten Bräuchen gefüllt. Außerdem konnte man den neuen Kalender nicht überall gleichzeitig einführen. Deswegen gab es zwingend Unterschiede zwischen den verschiedenen Gebieten für die Jahreswende. Es gab also immer ein mehr oder weniger deutliches „zwischen den Jahren Gefühl“. Und auch darauf wird der Ausdruck “zwischen den Jahren“ aus historischer Sicht zurückgeführt.
Erst 1692 legte Papst Innozenz den letzten Tag des Jahres verbindlich auf den 31. Dezember fest. Dieser Tag ist gleichzeitig der Gedenktag für Papst Silvester den Ersten. Daher kommt auch der Name für die Feier zum Jahreswechsel. Und so kommt es, dass der Jahreswechsel mitten in der Zeit der Rauhnächte stattfindet.
Vom „Loch im Kalender“ komme ich zu den heidnischen Ursprüngen dieser Zeit. Was machte diese Zeit so besonders? Einerseits war es das Wetter, mit Sturm, Regen und Dunkelheit.
Andererseits waren sie die Boten der bösen Geister. Daraus resultierte eine Zeit des Innehaltens. Eine Zeit, sich vom Alten zu verabschieden und auf das Neue vorzubereiten. Eine Zeit, in der es um die Wiedergeburt des Lichtes geht.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie in der Zeit zwischen Weihnachten und den heiligen Drei Königen die Welt irgendwie anhielt. Das weltliche Treiben begann erst danach. Auch die Schule. Selbst die Natur hielt an. Zumindest erschien es mir damals so und heute würde ich sagen, dies ist die Wirkung der besonderen Energie dieser Zeit dazwischen.
In allen Kulturkreisen gibt es Vorstellungen von Anfang und Ende. Und immer gibt es Zwischenreiche, die diese beide Eckpunkte verbinden. Dann fühlen sie sich ähnlich an. Alpha und Omega sind Anfang und Ende – Betonung auf dem Wort und. Mir scheint es wie ein Urbild zu sein, dem Menschen folgen, weil sie mit dem Verschwimmen der beiden Begriffe nicht leicht umgehen können. Doch es bleibt dabei: Jedes Ende ist auch ein Anfang oder umgekehrt. Es kommt ganz darauf an, welcher Vorstellung man folgt.